Moers. Die Saxophonklänge einer Straßenmusikerin vor dem Modehaus Braun in Moers sind über die gesamte Neustraße hinweg zu hören. Mit ihrer Version von Domenico Modugnos Klassiker „Nel blu dipinto di blu (Volare)“ regt sie einige Passanten am Freitagvormittag zum Stehenbleiben und Zuhören an. Was die Moerserinnen und Moerser noch nicht wissen: Hier spielt die neue Stadtmusikerin für das Jahr 2024: Virginia Genta.
Mit der 1984 geborenen Italienerin konnte das Team des jährlich zu Pfingsten stattfindenden „Moers Festivals“ ein kreatives Multitalent gewinnen, das Mut und Offenheit für Neues mitbringt. Genta fühlt sich weniger im klassischen Jazz wohl – vielmehr experimentiere sie mit Tönen und Geräuschen, die man mit dem Saxophon erzeugen könne, wie die zierliche Musikerin mit dem langen braunen Zopf erklärt. „Mit 20 Jahren habe ich mit dem Saxophonspielen begonnen“, berichtet Genta auf Englisch. Eine klassische musikalische Ausbildung an einer Musikschule oder Ähnlichem habe sie nie durchlaufen. Nach dem Motto „Learning by Doing“ entwickelte sie ihren Stil weiter: „Mit den Jahren wurde es immer komplexer.“
Tim Isfort, künstlerischer Leiter des Moers Festivals, freut sich, Virginia Genta als 17. Improviserin in Residence in der Grafenstadt begrüßen zu dürfen:„Wir haben mit Virginia eine gestandene Künstlerin hier in Moers, die früh ihren eigenen Weg gefunden hat.“ „Es wurde immer internationaler“, stellt er im Rückblick auf die vergangenen 16 Jahre mit Improvisern wie Hayden Chisholm aus Neuseeland oder Tomeka Reid aus den USA fest. „Zuletzt haben wir mit Recursion eher die heimischen Gefilde abgebildet.“ Nun kehre das Moers Festival mit der Saxophonistin aus Venedig zurück zu seinem Ursprung, dem „sehr freien Jazz“, zurück, wie Isfort es formuliert.
Nicht nur die Stadtmusikerin ist neu. Auch die Residenz, die die Improviserin mit ihrem Mann und Musikerkollegen David Vanzan für das kommende Jahr bezieht, ist eine andere. Nach monatelanger Suche einer Alternative zum Haus in der Kleinen Allee am Kastellplatz wurden Jeanne-Marie Varain, Geschäftsführerin der Moers Kultur GmbH, und ihre Kollegen in der Neustraße fündig. Die über 200 Quadratmeter große Wohnung im Herzen der Moerser Innenstadt ver- fügt mit sechs Schlafzimmern, drei Badezimmern und einer geräumigen Wohnküche nicht nur über ausreichend Platz für Freunde und Gäste der italienischen Musikerin. Eine eigens angefertigte Schallkabine im Obergeschoss der Residenz ermöglicht Genta das Musizieren, Proben und Aufnehmen rund um die Uhr, ohne dabei die Nachbarschaft zu verärgern.
Konkrete Pläne für ihr Jahr als Improviserin hat Genta noch nicht. „Ich versuche, es offenzuhalten und ein wenig zu improvisieren“, gesteht sie lachend. In der ersten Zeit gehe es zunächst darum, Moers mitsamt seinen Institutionen wie dem Museum, dem Jugendkulturzentrum Bollwerk 107 und verschiedenen Schulen kennenzulernen. „Unsere Kontakte und das Netzwerk stellen wir Virginia vor“, so Varain.
Auch Mark Rosendahl, Aufsichtsrat der Moers Kultur GmbH, blickt dem Wirken Gentas in Moers mit Vorfreude entgegen: „Ich bin sehr gespannt darauf, dass wir uns musikalisch kennenlernen.“ Finanzielle Förderung erhält das Projekt „Improviser in Residence“ von der Kunststiftung NRW und der Stadt Moers. Wer die Vorfreude mit Rosendahl teilt, hatte am vergangenen Sonntag bereits die Gelegenheit dazu, Virginia Genta beim Übergabekonzert in der Enni Eventhalle zu erleben. Um 18 Uhr übergaben die bisherigen Improviser Christopher Retz, Steven Koch und Jan Krause vom Klangkollektiv „Recursion“, die gleichzeitig ihren Abschied aus Moers feierten, den Staffelstab an die italienische Künstlerin.
Wir haben mit Virginia eine gestandene Künstlerin hier in Moers, die früh ihren eigenen Weg gefunden hat
Tim Isfort, Künstlerischer Leiter des Moers Festivals
Darüber hinaus steht noch in diesem Monat die erste eigene Veranstaltung der Moerser Stadtmusikrin für das Jahr 2024 an. Am Freitag, 19. Januar, und am Samstag, 20. Januar, finden in den Räumlichkeiten ihrer neuen Wohnung (Neustraße 20) Konzerte mit vier Musikerinnen und Musikern von „sinergia elettro- nica“ statt, mit denen Virginia Genta bereits seit elf Jahren zusammenarbeitet. „Es ist kein Konzert mit Anfang und Ende, sondern eher eine begehbare Installation“, stellt die Improviserin in Residence in Aussicht.
NRZ, 08.01.2024