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Schräg, schroff, schön

kultur.west
7. Mai 2024
Angelina Tashiya Akawa wird in einer Uraufführung in Moers zu erleben sein. Foto: Artist lores

Pressekonferenzen folgen häufig einem Schema: Da wird das neue Programm eines Festivals präsentiert und in der Regel betont, dass nun alles noch schöner, neuer, besser wird. Anders beim Moers Festival. Nachdem der künstlerische Leiter Tim Isfort der Henne Burkhardt für Ideen und Unterstützung gedankt hat (und das Huhn aufs wortwörtliche Podest gehoben), lässt er verlauten: »Im Grunde ist das alles nichts Weltbewegendes in diesem Jahr.«

Es ist dieser Einstieg in eine Pressekonferenz, die sinnbildlich für das Moers Festival steht. Angefangen als kleines Konzertevent, hat sich die Veranstaltung zu einer der wichtigsten Institutionen im Jazz gemausert. Dabei war es in der Vermarktung immer schon ein wenig unkonventionell. Ob kryptische Ankündigungstexte oder der Begriff von Jazz, der sich im Laufe der Jahre immer weiter gedehnt hat bis zu einem Programm, das auch Singer-Songwriter*innen aus aller Welt, Noise-Musik oder Black-Metal miteinschließt. In diesem Jahr schmücken Superheld*innen die Plakate, die sich nicht nur auf, sondern auch abseits der Bühne finden lassen. Dazu passt, dass Kinder für das Projekt »Captain Niederrhein im Rausch des Unimoersums« ihre eigenen Kompositionen einreichen sollten, die ihre Lieblingssuperheld*innen charakterisieren. Das finale Stück wird unter der Leitung des Moers-Nachwuchs-Programms Lukas Döhler und Letitia Carrera nun auf dem Festival uraufgeführt werden. So gibt es nicht nur musikalische Größen von gestern und heute zu hören, sondern auch von morgen.

Im vergangenen Jahr war mit Peter Brötzmann einer der prägendsten Free-Jazz-Pioniere der europäischen Jazzszene gestorben. Geboren in Remscheid, war sein prägnanter, beinahe aggressiver Ansatz auch auf dem Moers Festival zu hören gewesen. Seine Spielart hatte unter dem Verb »brötzen« Eingang in das hiesige Jazz-Vokabular gefunden und soll nun mit dem Projekt »Brötzfrau« der Musiker*innen Alexey Kruglov, Masayo Koketsu und Conny Bauer entsprechend gewürdigt werden. Ein Schwerpunkt im Programm ist Japan: Schon seit Jahrzehnten pflegt das Moers Festival eine innige Beziehung zur dortigen Impro-Jazz-Szene, zu der die Saxophonistin Masayo Koketsu gehört. Aber auch Musiker*innen wie Yōsuke Yamashita oder Masayuki Takayanagi wurden durch Auftritte am Niederrhein auch hierzulande bekannt. In diesem Jahr wird es aus Japan neben Free Jazz auch traditionelle Koto-Trommeln, Elektronik von Koshiro Hino oder vertrackte Frickelmusik der Band GOAT zu hören geben (der japanischen, nicht der schwedischen!).

Schwerpunkt Namibia

Ein anderer Schwerpunkt ist Namibia. Seit drei Jahren rückt das Festival jeweils ein anderes afrikanisches Land in den Mittelpunkt, um auch hier die Vielfalt des Kontinents nach Moers zu holen. Tim Isfort reiste mit seinem Team ins Land, um mit Menschen der Ju/’Hoansi, einer der Untergruppen der San und damit eines der ältesten Völker der Welt, zu sprechen und sich künstlerisch auszutauschen. Die Ju/’Hoansi-San gelten als die Ureinwohner Namibias, archäologische Spuren deuten daraufhin, dass ihre Vorfahren bereits vor 20.000 Jahren durch den Süden Afrikas reisten. Ihre Gesellschaft ist demokratisch, Frauen und Männer sind gleichgestellt. In diesem Mai wird nun eine Delegation von neun Männern und Frauen nach Moers reisen, um dort mit internationalen Improvisationsmusiker*innen gemeinsam auf der Bühne zu stehen. Außerdem hat das Moers Festival eine Auftragsarbeit an Eslon Hindundu vergeben, der Komponist der ersten namibischen Oper ist, in der er sich mit dem Völkermord der Herero und Nama auseinandersetzt. Begleitend zum musikalischen Programm wird in Moers außerdem die Ausstellung »Stolen Moments: Namibian Music History Untold« gezeigt, die die Geschichte der namibischen Popmusik der 50er bis 80er Jahre darstellt und zeigen will, wie diese durch das südafrikanische Apartheits-Regime immer weiter zensiert wurde. Dazu gibt es Panels, in denen das Kapitel der deutschen Kolonialgeschichte diskutiert werden soll.

Die Aufforderung des Moers Festivals ist damit klar: Es darf, es soll, es muss ein Stück weit unbequem werden.

Von Jakob Stärker

Link: https://www.kulturwest.de/inhalt/schraeg-schroff-schoen/ (Abgerufen am 04.06.2024 um 23:56) 


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